Louise Grimm

Alessandro Mendini, Mexico City, 2001

Was mich an der Kunst von Louise Grimm an stärksten beeindruckt, ist die extreme Übereinstimmung zwischen ihrem Leben und ihrer Malerei. Zwei Dinge, die die Kunstkritiker selten in Relation setzen. Ihr ganzes, zweiundneunzig Jahre langes Leben hat Louise keine Zweifel gehabt, ist sie stets nur und ununterbrochen Malerin gewesen und hat ihre Kunst bis zum letzten Gemälde weiterentwickelt. Ein unter stetiger, linguistischer Aktualisierung geschaffenes Werk, methodisch parallel zu den wichtigsten Veränderungen, die in der Geschichte der Malerei ab ihrem Geburtsjahr 1900 eingetreten sind. Ein beinahe ein ganzes Jahrhundert umfassendes, “malerisches” Zeugnis. Louise war eine über jeden Zweifel erhabene Malerin. Die unmittelbare Verbindung zwischen Empfindung und malerischer Idee hat ihre Hand zum Pinsel greifen lassen, zur Farbe und zur Leinwand, und hat ihre ganze Person in ein sensibles Instrument der visuellen Wahrnehmung verwandelt. Vielleicht könnte man es als Paradox sagen, dass Louise alt zur Welt kam und jung starb? In dem Sinn, dass ihre Kraft und Sensibilität für die künstlerische Transformation enorm war. Deshalb habe ich für diese Ausstellung ihr erstes und ihr letztes, unvollendetes Werk ausgewählt. Ein schönes, mit Kohlestift von einer klassischen Gipsfigur kopiertes Gesicht ist das erste, und ein koloristisches System informeller, weicher Bewegungen, auf einer großen, horizontalen Leinwand das zweite: von der akademischen Studie der Kunststudentin zur Gedankenfreiheit, zu den großen Visionen einer alten Frau, die an ihrem Lebensende das Unendliche erahnt. Innerhalb dieser langen Lebensbahn, dieses intimen Raum-Zeit-Abschnitts geht es mir mehr um die Ausdauer, die Liebe, die utopische Hingabe an ihre unbestreitbare Berufung, als um ein absolutes Urteil über die Qualität ihrer Malerei, so hoch diese auch ist. Die Malerei als Legende und als Roman eines ganzen Lebens, vielleicht auch als Ersatz für die Tochter, die sie nicht hatte. Ein ruhiges und heiteres, intellektuelles und künstlerisches Wirken. Und zwischen dem ersten und dem letzen Bild der gesamten, gemalten Lebensbahn zeichnet eine lange Reihe von Werken die linguistischen Etappen nach, die den Expressionismus und das Art deco berühren die ländlichen Häuser und Landschaften der Sommerfrische, die informelle Kunst, die 50er Jahre, den Kolorismus. Mit den ihnen eigenen Techniken, insbesondere dem Holzschnitt, in dem sie, meine ich, mit einer Serie aus auf Papier gedruckten, schwarzen Gesichtern den höchsten Ausdruck ihrer Kunst erreichte. Diese Ausstellung ist im musterhaften Grimm-Museum ausgerichtet, an dem Ort, an dem sie arbeitete und lebte. Organisiert von Peter Ruthemberg, der die Dokumente liebevoll und mit philologischer Strenge untersucht hat. Wir können ihm nur dafür danken, dass er dieses reine Andenken an Berlin aufbewahrt. Die Malerei von Louise Grimm ist zweifellos eine Entdeckung, von der sich die Kunstkritiker noch große Überraschungen und viel Arbeit erwarten können.